Fayence – Underglaze painting
Ausstellungskatalog · Berlin 2016 · Deutsch/Englisch · 40 Seiten
Mit einer Rezension von Tanja Langer
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Der zärtliche Pan
oder vom wunderlichen Wert der Selbstfindung
Dana Widawski bemalt Fliesen. Fliesen wie in jedem beliebigen Badezimmer, Fliesen, wie sie vor Jahrhunderten in Delft kobaltblau bemalt wurden, um mit der Schönheit der Welt an die Vergänglichkeit des irdischen Daseins zu erinnern. Dana Widawski entdeckte diese künstlerische Ausdrucksmöglichkeit bei einem Projekt, für das sie etwas besonders Haltbares an einer Hauswand gestalten sollte, das auch vor einem Brand geschützt wäre. »Garten Eden« (2014) war das Resultat: das erste Paar der biblischen Schöpfungsgeschichte, das Paar vor allen Paaren, Adam und Eva, auf zwei getrennten Fliesenflächen, beide nackt, beide mit einem Schutzhelm auf dem Kopf und ausgestattet mit Werkzeugen wie aus einem Heimwerkergeschäft, Eva mit einer Motorsäge, Adam mit einer Axt. Auch die Schlange wurde verdoppelt, um das Getrenntsein des Paares zu unterstreichen: auf Evas Seite schlängelt sie sich um ihren Körper, bei Adam umschlingt sie den Baumstamm (eine Art verschobener Riesenphallus) und blickt aus den Ästen auf ihn hinab. Adam hält den Apfel auf seinen Fingerspitzen nach oben, man weiß nicht recht, ob er ihn pflückt oder jemandem anbietet, den wir nicht sehen. Eva wiederum hält ihren halbaufgegessenen Apfel nachlässig in der Hand, die Schlange sperrt das Maul auf, um davon abzubeißen. Was dieses Paar par excellence zu einen scheint, ist der idyllisch anmutende Baum, die herumflatternden Vögelchen sowie der Hintergrund, allesamt ornamental aufgefasst und böse gebrochen: denn zwischen den Blumenranken finden sich die Banknotenzeichen Dollar, Euro, Pfund und Yen. Eva scheint zu überlegen, an welchen Ast sie ihre Säge ansetzen soll, Adam scheint mit der Axt das anschließende Zerkleinern übernehmen zu wollen. Die Zeiten stehen schlecht für Paare, die große Schöpfung der Welt und das große »Sich-Erkennen«, was einmal das biblische Sich-Lieben bezeichnete, sind heruntergekommen auf ein nicht einmal mehr gemeinsames Werkeln, womöglich Verschandeln der Natur. Ist das die neue Nachricht unter dem Baum der Erkenntnis?
Nach der Betrachtung dieser Unmöglichkeit wendete sich Dana Widawski, wenn man so will, erst einmal Eva zu. Schon in früheren Arbeiten spießte sie Rollenklischees auf, zeigte selbstbewusste Frauen (oft sich selbst) mit Sägen oder Pistolen im Bikini. In ihrer Serie »Artist’s Rest« (2014) unternimmt sie eine höchst originelle Selbstbefragung auf dem Klo, diesem intimen Ort, dem letzten Refugium, in dem noch keine Videokameras hängen und niemand uns für gewöhnlich zusieht. »Video« heißt lateinisch »ich sehe«, und natürlich sieht sich die Künstlerin selber zu und zeigt es uns auch, jedoch weniger narzißtisch um sich kreisend als vielmehr erstaunt distanziert wie ein Kind, das ohne Vorbehalte seine Neugier auf die eigenen Ausscheidungen, den eigenen Körper und schließlich alle möglichen Phänomene dieser Welt lenkt. Auf dem vorletzten Bild greift die Künstlerin mit bloßer Hand »in die Scheiße«, ein Akt, der direkt zum Malen führt (der ursprüngliche Impuls des Kindes, mit seinen Ausscheidungen zu spielen, die Wände damit »vollzuschmieren«) und der zum anderen bedeutet: etwas furchtlos angehen, es wissen wollen.
Was genau will die Künstlerin wissen, die noch dazu behauptet, als Künstlerin gerade eine Pause zu machen?
Die weibliche Figur, das Alter Ego der Künstlerin, trennt den eigenen Socken auf, um ihn neu zu stricken. Sie schält einen Apfel (Eva). Sie kreiert mit der Klorolle eine Art Farah-Diba-Umhang, der zugleich an die Kopfbedeckung einer mittelalterlichen Nonne erinnert, eine in der Kombination recht hintergründige Assoziation, und mimt mit der Zigarettenspitze eine Eleganz, die von der heruntergezogenen Unterhose wie dem Örtchen konterkariert wird. Sie pinkelt wie ein Kerl im Stehen, hat aber unter dem Revolvergürtel Strumpfbänder auf den Oberschenkeln, ähnlich wie sich VALIE EXPORT 1970 eines eintätowieren ließ, um gegen die Unterwerfung der Bilder des weiblichen Körpers / Daseins unter den männlichen Blick zu protestieren. Der Verweis kommt nicht von ungefähr; doch dieses Pinkeln, Kacken und Phantasieren als »Ausscheidung« aus einem weiblichen Körper wird hier von Dana Widawski weniger roh und militant vorgeführt als es Ende der sechziger Jahre die Menstruations-Videos oder »Genitalpanik« von VALIE EXPORT oder die Tampon-Performances von Carolee Schneemann (1975) taten, sondern scheinbar leicht, humorvoll und spielerisch. Doch gerade in der pathosfreien, beiläufigen Alltäglichkeit, mit der Dana Widawski die Aktivitäten der Künstlerin an den scheinbar banalsten aller Orte verlegt, liegt ihre Provokation, in einer Zeit erneut wachsender Prüderie, die noch dazu mit dem globalen Nebeneinander von nackten Busen in der Werbung, reaktionären Heidi-Klum-Supermodel-Shows und komplett verschleierten Burkaträgerinnen zurechtkommen muss.
In der Traditionslinie, die bei Paula Modersohn-Beckers Selbstporträt von 1908 beginnt und über Cindy Sherman und andere verläuft, benutzt Dana Widawski sich selbst als Modell, das einfachste, billigste und radikalste, in dieser sich selbst zur Disposition stellenden Nacktheit, die sie auch in ihrem Chimärenbild »Die Diva und der Grizzlyfrosch« (2014) zum Einsatz bringt.
Bei Vorarbeiten zu »Artist’s Rest« benutzt sie einfache Papierschablonenmalerei, um vorhandene Fotografien, die sie mit dem Selbstauslöser von sich gemacht hat, spontan auf die Seiten einer Anthologie mit erotischen Erzählungen als Druck aufzubringen (»Madame Rêve«, 2014). Diese Beschäftigung führt sie zu Pauline Réages Buch »Die Geschichte der O«, das bei seinem Erscheinen 1954 einen weitaus tieferen Skandal auslöste als vor einigen Jahren »Fifty Shades of Grey«. Denn während Pauline Réage mit der Darstellung der Lust einer Frau an ihrer gewaltsamen Unterwerfung die gesellschaftliche Ordnung der französischen Bourgeoisie attackierte, schoss beim jüngeren, kommerziellen Bestseller der Engländerin E. L. James nur das Vergnügen und der Verkauf von (Plüsch-)Handschellen für den Sex in die Höhe. Dana Widawski entscheidet sich für die radikalere Autorin; in ihrer Arbeit »Geh doch« (2016), bei der sie sich auf Réage bezieht, zeigt sie sich selbst in Fesseln, die nirgends angeknüpft sind, die Fliesen ragen weit übers Eck in den Raum. Ein Moment verstörender seelischer Verletztheit.
Zuvor jedoch, im nächsten Schritt für »Artist’s Rest« fotografiert sie sich gezielt in bestimmten Haltungen, bearbeitet die Aufnahmen im Computer, verbindet sie mit Elementen, die sie im Internet findet, um am Ende ihren Entwurf mit dem Pinsel in mehreren Durchgängen auf die Fliesen aufzubringen – die unregelmäßige, lebendige Farbe auf den kalten, industriell gefertigten Untergrund, der abschließend gebrannt wird. Die subjektive Aneignung wird durch diesen aufwändigen Prozess in den Vordergrund gerückt; das Bemalen als aktive Form der künstlerischen Produktion wird in ihrer organischen, naturhaften Nähe zum eigenen körperlichen Dasein akzentuiert.
Irgendwo in dieser Reihe sitzt die Künstlerin ratlos grübelnd auf dem Klo, den Kopf in der klassischen Pose der Melancholie in die Hände gestützt. Findet sich der Mensch nicht erst in der Auseinandersetzung mit einem anderen?
Die Frage der Geschlechter lässt ihr keine Ruhe. Dana Widawskis Antwort ist pessimistisch.
In den beiden Arbeiten »Die Diva und der Grizzlyfrosch« (2014) und »Die Drachenbezwingerin« (2015) zeigt sie zwei Paare, die in ihrer Nicht-Beziehung aufeinander bezogen sind, man könnte auch sagen, die sich für ihre narzißtischen Projektionen zwar brauchen, im Grunde jedoch nicht berühren. Der Grizzlyfrosch gehört wie der Drachenmann zur Gattung der Tierbräutigame im Märchen, er ist mit Hand- und Fußschellen (s.o.!) an Wasserrohre gefesselt, sein Penis ist von einem Sexspielzeug aus Metall umkleidet. Die Frau – wiederum die Künstlerin erkennbar – liegt vor ihm, mit geöffneten Beinen, als zeigte sie ihm ihr Geschlecht, vielleicht auch nicht. Tut sie desinteressiert, um ihn zu reizen, oder ist sie es tatsächlich? Sie telefoniert mit einem Dildo-ähnlichen Handy, das naturhaft Schleimige der Schnecken ist in eine Schablone geklemmt bzw. in das Ornament der Bodenfliesen gebannt, so wie in der »Drachenbezwingerin« die in der Natur beweglichen Bambusrohre auf der Tapete erstarrt sind. Die asiatische Schöne hockt auf dem Drachenmann, dessen wildes Gesicht erregt und schmerzerfüllt zurückgebeugt ist, und zupft einzelne Blüten aus einer Chrysantheme, er liebt mich, er liebt mich nicht: die Harmlosigkeit eines Kinderspiels wird mit der Erinnerung an »Im Reich der Sinne« gekreuzt, jener japanische Skandalfilm von Nagisa Ôshima (1976), der die gewaltsame, düstere Seite der menschlichen sexuellen Leidenschaft bis zum Tod zum Thema hat. Der Holzsteg, der in abstrahierte Wellen ragt, ist eine Reminiszenz an das Wasser als erotisch-verschlingendem Aspekt der Sexualität so wie es beim Grizzlyfrosch in die wiederum höchst banalen Wasserrohre gebannt ist. Zwei Bilder, die so abgründig die Unmöglichkeit der Beziehungen aufgreifen wie bestimmte Klischees von Machtspielen in der Erotik. Die Größe der Sehnsucht entspricht der Größe der Angst vor dem, was man als Selbstverlust in der Liebe fürchtet und erhofft. Phantasmagorien von Zärtlichkeit und Gewalt, beschädigt sind Mann wie Frau.
Morris’ Ornamente, Pornoseiten, Grimmsche Märchen, antike Mythen und japanische Legenden: Dana Widawski nutzt die Kunstgeschichte und das Internet als Open Source für ihre Phantasie; hat sie den Impuls für ein Bild, sucht sie die Bestandteile, entwirft und verwirft sie in einer Art wachem Traum; sie speichert niemals zwischen und hält erst inne, wenn sie das »richtige Bild« gefunden hat.
So inspirierte sie sowohl die konkrete Begegnung mit zwei Menschen wie die Skulptur »Pan tröstet Psyche« (1857/58) des Berliner Bildhauers Reinhold Begas zu ihrem wunderbaren, vorerst letzten Bild in der Reihe der Halbwesen und Paare: »Pan und Psyche« (2016). Psyche hat eine Erfahrung des Selbstverlusts hinter sich. Bildschön, erregte sie den Unmut der Göttin Venus, die ihren Sohn Amor schickte, die Sache zu regeln. Doch Amor verliebte sich und nahm Psyche zur Frau; um sich nicht zu verraten, besuchte er sie nur nachts. Angestachelt von ihren neidischen Schwestern, die Psyche einträufelten, ihr Liebster sei eine monströse Schlange (!) und wolle deshalb nicht, dass sie ihn sehe, erwartete Psyche ihren Amor mit Messer und Lampe. Amor, verletzt, verließ sie; Psyche stürzte sich vor Trauer in einen Fluß. Der Fluß zeigte Erbarmen und setzte sie ab im Schilf. Dort traf sie auf Pan, dessen Unterleib ein Ziegenbock, Gottheit des Waldes und der Natur, als Kind hässlich und unerwünscht. Der sich unglücklich verliebte, in die Nymphe Syrinx, die, vor ihm fliehend, sich in Schilfrohr verwandelte, aus dem er wiederum sich seine Flöte schnitt, deren Klang alle Wesen besänftigt. Die Geschichte hat es in sich. Pan tröstet Psyche, das Halbtier die Seele. Das Verbot zu fragen, wer einer ist, muss übertreten werden, nur so kann es zu wahrer Liebe kommen.
Auf Dana Widawskis Fliesenarbeit sitzen sie beeinander, beide gebeutelt von der Liebe, Psyche, zart, kindlich, androgyn, Pan, deutlich älter, väterlich, mit wildem Fell und großem Penis. Sie sind einander zugewandt, lächelnd. Er verbindet Psyches Handgelenk; sie hat wohl versucht, sich die Pulsadern zu öffnen. Auch hat sie sich das Haar abgeschnitten, altes Zeichen für weibliche Trauer – und Selbstbehauptung. Um sie herum die wuchernde Weide. Der »tierische« oder auch animalische Aspekt, der bei den anderen beiden Chimären / Tierbräutigamen auf den schwierigen, weil mit Gewalt verbundenen, oft abgelehnten Anteil der Sexualität verweist, dem ein noli-me-tangere in der Maskerade der Gleichgültigkeit gegenübersteht, wendet sich hier zum kreatürlichen Mitgefühl. Zu Zärtlichkeit und Gegenseitigkeit. Sie blicken sich nicht direkt an, Pan und Psyche, doch in ihrer Körpersprache zeigt sich ein seelisches Sehen und Gesehen-Werden.
In der Mythologie macht sich Psyche, von Pan getröstet, auf den Weg, Amor zu finden.
Tanja Langer
Berlin 2016